Singen gegen Heiserkeit und Diskomusik gegen Stress

(Artikel gefunden bei www.gmx.net in Zusammenarbeit mit Men´s Health, 05.12.2007)

Die Wissenschaft ist immer noch ein wenig ratlos: Wofür ist Musik eigentlich gut? Wer weiß, vielleicht haben ja schon die ersten Urmenschen gespürt, dass es ihnen gut tut, wenn sie auf hohle Baumstämme schlagen oder Tierknochen Flötentöne entlocken.

Sicher aber war gemeinsames Trommeln, Singen und Tanzen ein wichtiges Ritual, das die Sippe zusammenschweißte – effektiver, als es mit gegenseitigem Lausen möglich war. Wie auch immer es in grauer Vorzeit dazu gekommen ist: Musik ist so tief ins menschliche Gehirn eingraviert, dass sie nicht nur Stimmungen, sondern auch die Gesundheit beeinflussen kann. Ob Sie nun Musik machen oder hören: Hier erfahren Sie alles über Ihre eigene heilende Hitparade.

Singen gegen Erkältungen

So heilsam es sein kann, den Liedern zu lauschen – manchmal ist es noch besser, selbst Musik zu machen. Singen zum Beispiel ist äußerst gesund, jedenfalls solange man nicht bloß herumgrölt und damit seinen Kehlkopf und seine Stimmbänder strapaziert. Es kann sogar vor Halsschmerzen und Erkältungen schützen. Das fanden Wissenschaftler der Universität Frankfurt heraus, die Sänger eines Laienchors vor und nach dem Üben von Mozarts „Requiem“ untersuchten.

Nach der Probe entdeckten die Forscher bei den Chormitgliedern deutlich mehr Immunglobulin A im Speichel – ein Eiweiß, das vor allem für die Abwehr von Atemwegserkrankungen verantwortlich ist. In der Kontrollgruppe, die das Mozart-Stück nur hören durfte, wurde das Immunsystem hingegen nicht angekurbelt. Die Experten halten das Singen insbesondere dann für gesundheitsfördernd, wenn der Spaß im Vordergrund steht und nicht die Leistung.

Schmettern gegen Schwäche

Das Singen kann auch die Kraftausdauer deutlich verbessern, fand der Siegener Musikpsychologe Dr. Karl Adamek heraus. Er ließ Probanden Gewichte von 500 Gramm so lange mit ausgestreckten Armen halten, bis sie nicht mehr konnten. Im Durchschnitt war nach zehn Minuten Schluss, aber wer dabei singen durfte, der hielt 50 Prozent länger durch. Kleiner Tipp am Rande: Erzählen Sie möglichst vielen Leuten in Ihrem Fitness-Studio von diesem Forschungsergebnis, bevor Sie es beim Krafttraining anwenden.

Trällern gegen Fahrigkeit

Singen unterstützt nicht nur die Muskeln, sondern auch das Gehirn, fand Adamek heraus. Er ließ seine Versuchspersonen Konzentrationstests machen und in einer Pause entweder nach Lust und Laune entspannen oder singen. Die Sänger schnitten danach sehr viel besser ab als die Probanden der Kontrollgruppe.

Übrigens: Ob der Gesang korrekt oder sogar schön war, spielte bei sämtlichen Untersuchungen keine Rolle. Da müssen Ihre Kollegen dann wohl durch.

Blasen gegen Schnarchen

Auch wenn das jetzt vielleicht eine Enttäuschung ist: Es geht immer noch um Musik. Das nächtliche Sägen wird durch schlaffes Gewebe im Rachen verursacht, das vor allem in Rückenlage den Atem behindert – mitunter so stark, dass er minutenlang aussetzt. Die ständigen Schlafstörungen und der Sauerstoffmangel erhöhen unter anderem das Herzinfarkt-Risiko.

Auch hier hilft es zu singen, doch noch effektiver ist es, wenn Sie musizieren – auf einem Didgeridoo, dem Blasinstrument der australischen Aborigines. Beides festigt nämlich die Rachenmuskulatur und sorgt so für eine deutliche Verringerung des Schnarchens und seiner Folgen.

Den Effekt hatte der Schweizer Alex Suarez zuerst an sich selbst bemerkt, inzwischen wurde er in einer kleinen Studie der Zürcher Höhenklinik Wald bestätigt. Suarez entwickelte daraufhin ein medizinisches Didgeridoo aus Plexiglas (im Original sind es von Termiten ausgehöhlte Eukalyptusstämme) und gibt Kurse zum Erlernen der richtigen Technik (Infos unter www.asate.de). Wer Erfolg haben will, muss mindestens fünfmal pro Woche 20 Minuten spielen. Die Wirkung soll sich spätestens nach vier Monaten zeigen.

Musizieren gegen Tinnitus

Einer der Ansätze, mit Musik gegen Tinnitus vorzugehen, wurde in einer Kooperation des Deutschen Zentrums für Musiktherapieforschung, der Fakultät für Musiktherapie der Fachhochschule Heidelberg sowie der HNO-Klinik der Universität Heidelberg entwickelt. Bei den Patienten werden Höhe, Frequenz und Lautstärke ihres Tinnitus-Tons ermittelt, dann wird dieser Ton technisch nachgebildet.

Anschließend improvisieren die Patienten mit der eigenen Stimme oder Instrumenten um diesen Ton herum. „Nach zwölf Sitzungen verringert sich die subjektive Belastung durch die Ohrgeräusche um mehr als die Hälfte“, sagt Studienleiterin Heike Argstatter. Offenbar lenkt das Musizieren mit dem verhassten Ton die Aufmerksamkeit bewusst auf den Tinnitus, aber auch wieder weg, und die Patienten gewinnen eine gewisse Kontrolle über ihr Hören zurück. Außerdem wird der Ton als weniger bedrohlich empfunden, wenn man damit spielen kann. Laut Argstatter bleibt dieser Erfolg mindestens ein Jahr lang erhalten.

Summen gegen Sinusitis

Schwedische Forscher vom Karolinska-Institut in Stockholm fanden in einer Untersuchung heraus, dass Summen den Luftaustausch in den Nebenhöhlen im Vergleich zum einfachen stillen Ausatmen durch die Nase um das 15-Fache verbessert.

Beim Ausatmen durch den Mund mit Ton, beim Singen, war das nicht so. Für den Effekt seien die durchs Summen entstandenen Luftschwingungen verantwortlich. Täglich ein paar Minuten zu summen könnte anfällige Menschen vor so mancher Nebenhöhlenvereiterung bewahren. Das ist nicht nur Musik in unseren Ohren, sondern auch in der Nase.

Beruhigende Melodien

Langsam und fließend sollten Lieder sein, die Sie vor Prüfungen hören – wie der Song der englischen Trip-Hop-Band „Massive Attack“. Die TU Darmstadt fand nämlich heraus, dass Männer nach dem bewussten Lauschen der Musik bessere Ergebnisse in Hirnleistungs-Tests erzielen. Nur Männer! Frauen dagegen laufen nach rhythmisch-schnellen Stücken zur Höchstform auf.

Die Forscher erklären dies mit dem unterschiedlichen motorischen Erregungszustand. „Männer bewegen sich mehr und haben einen höheren Blutdruck“, sagt Versuchsleiter Professor Reinhard Leichner. „Daher wirkt bei ihnen beruhigende Musik ausgleichend und leistungsfördernd.“ In dem Versuch waren es Sinfonien von Mahler und Rachmaninow.

Rhythmische Lieder

Sehr strukturiert und rhythmisch, gerne auch harter Rock – nach diesen Charakteristika sucht Dr. Ralph Spintge Musik für akut von Schmerzen und Angst geplagte Menschen aus. Spintge ist Geschäftsführer der Internationalen Gesellschaft für Musik in der Medizin sowie Anästhesist und Schmerztherapeut in der Sportklinik von Lüdenscheid-Hellersen. Dort setzt er Musik ein, seitdem er die Erfahrung gemacht hat, dass sich dadurch Schmerz- und Beruhigungsmittel sowie Narkose-Medikamente einsparen lassen.

„Dadurch verringert sich natürlich auch die Gefahr von Nebenwirkungen“, sagt der Mediziner. Dass die Wirkungen von Musik nicht nur subjektiv sind, zeigen auch die Messungen von Atmung, Herzfunktion und Ausschüttung von Stresshormonen während einer Narkose. Spintge: „Mit Musik sind die Werte durchweg besser.“

Indische Klänge

In einer Studie der Berliner Charité erwiesen sich die Lieder des indischen Sitar-Spielers Ravi Shankar als effektivste Blutdruck-Senker – selbst wenn die Probanden seine Raga-Musik nicht besonders gerne hören mochten. Im Durchschnitt sank der Blutdruck um fünf mmHg – das mag sich nach wenig anhören, entspricht aber einer Senkung des Infarkt-Risikos um etwa fünf Prozent.

Auch in einer gemeinsamen Untersuchung der Universität von Pavia in Italien und dem englischen John-Radcliff-Krankenhaus in Oxford hatte die Musik von Shankar von allen getesteten Stücken den stärksten beruhigenden Effekt auf das Herz. Sie ließ die Herzfrequenz am deutlichsten sinken.

Dancefloor-Songs

Musik, bei der man am liebsten auf die Tanzfläche stürmen möchte, empfiehlt Musikmediziner Spintge Menschen mit panischer Angst vorm Zahnarzt. Abzappeln auf dem Behandlungsstuhl? Spintge: „Nein, der Patient bewegt sich nur im Geist. Die Musik lenkt die Aufregung in eine positive Richtung.“ Auch die Schmerzwahrnehmung wird durch Musik verringert.

Studien zeigen, dass die Lieblingsmucke bei Dentalpatienten den Stresshormonspiegel während einer Behandlung wesentlich geringer steigen lässt als bei denen, die nur dem Bohrer lauschen. „Musik beschäftigt als sehr komplexer Sinnesreiz unser Bewusstsein derart, dass andere Umweltreize kaum wahrgenommen werden“, sagt der Fachmann. „Die Zentren der Schmerzverarbeitung und der emotionalen Steuerung werden aber auch direkt beeinflusst.“

Temporeiche Songs mit klarer Sopranstimme

Diese Eigenschaften eines Musikstückes hatten in einer australischen Studie der Universität von New South Wales das größte Potenzial, bei den Hörern Glücksgefühle auszulösen. Das galt vor allem dann, wenn das Lied zudem einen eher schnellen Rhythmus hatte und eine harmonische, weit gespannte Melodie mit vielen Tönen – also das Gegenteil von wenigen, sich oft wiederholenden Abschnitten. Die australischen Forscher hatten unter anderem die „Slawischen Tänze“ von Antonín Dvorcák getestet. Dennoch hängt die Wirkung von Musik auf die Stimmung stark von individuellen Erfahrungen ab.

Sie können sich sogar selbst konditionieren: Hören Sie bei guter Laune öfter dasselbe Lied, stehen die Chancen gut, dass Sie sich damit bald aus einem Stimmungsloch holen können.

Komplizierte Rhythmen

Was für akute Schmerzen richtig ist – also rhythmisch gleichmäßige Musik –, das tut Patienten mit chronischen Leiden gar nicht gut. „Für sie ist jede weitere feste Struktur ein zusätzlicher Gitterstab in ihrem Gefängnis“, erklärt Schmerztherapeut Spintge. „Also muss die Musik möglichst rhythmisch unstrukturiert sein.“

Nach seiner Erfahrung kann man mit Hilfe des bewussten Musikhörens (mindestens einmal täglich für etwa zehn Minuten) eine deutliche Linderung seiner chronischen Schmerzen erzielen.

Ruhige Melodie mit hohen Tönen

Ein erfolgreicher Ansatz, mit Musik gegen quälende Ohrgeräusche vorzugehen: täglich mindestens 20 Minuten eine CD hören, die zum eigenen Geräusch passt. Nach den Erfahrungen von Dr. Klaus Hocker, Chefarzt der Brunnen-Klinik in Bad Meinberg, klappt das mit Liedern, die hohe Frequenzen enthalten, etwa Geigen oder Flöten.

Wichtiger ist noch, dass die Musik entspannt und den eigenen Geschmack trifft, damit man ihr gern lauscht. Die CD darf nicht lauter sein als der Tinnitus, damit das Gehirn bewusst entscheiden kann, wo es zuhört. Das entzieht dem Tinnitus die Aufmerksamkeit – bei entsprechender Konsequenz dauerhaft.

Gänsehaut-Musik

Es variiert zwar, bei welcher Musik sich einem vor Wonne die Haare aufstellen, doch eine britische Studie der Universität Keele zeigt, dass einige musikalische Effekte ein höheres Gänsehaut-Potenzial haben: wuchtige Choreinsätze, Harmoniewechsel, der Einsatz von Solostimmen oder -instrumenten, das Anschwellen der Lautstärke. Als kanadische Forscher der Universität Montreal untersuchten, was Gänsehaut-Musik im Gehirn auslöst, stellten sie fest: Sie aktiviert das körpereigene Belohnungssystem – wie Drogen, Sex, leckeres Essen.

Statt zu naschen, lassen Sie sich also lieber musikalische Schauer über den Rücken laufen.

Warme, meditative Lieder

60 bis 70 Schläge pro Minute – das ist der Rhythmus der Entspannung, denn er entspricht der Zahl der Schläge des Herzens in einem entspannten Körper. Forscher sind sicher, dass der Rhythmus schon ungeborenen Babys signalisiert: alles in Butter.

Wer sich in diesen Zustand versetzen möchte, der sollte Musik mit einem solch langsamen Takt auflegen. Wer Klassik bevorzugt, der wählt ein Stück in einem Tempo wie Andante, Adagio oder Largo. Unabhängig von der Stilrichtung sind die Lieder am erfolgversprechendsten, die zudem eher tiefe, warme Klänge enthalten.

Titel mit abfallender Tonreihe

„In allen Sprachen signalisiert eine absteigende Satzmelodie: Es geht auf das Ende zu. Daher sind auch Schlaflieder für Kinder so aufgebaut“, erklärt Professor Manfred Spitzer, Leiter der Psychiatrischen Universitätsklinik Ulm und Autor des Buchs „Musik im Kopf“ (um 20 Euro, Schattauer-Verlag).

Darüber hinaus haben sie den typischen Entspannungs-Rhythmus von etwa 60 Schlägen pro Minute. „Meiner Ansicht nach ist es sehr wahrscheinlich, dass viele Menschen durch die Schlaflieder der Eltern darauf konditioniert sind, sich von einer Musik mit diesen Charakteristika in den Schlaf wiegen zu lassen“, sagt Spitzer. Wenn es der gute alte Armstrong nicht schafft, Ihnen die Lider schwer werden zu lassen, können Sie es auch mit den meditativen 60 Schlägen pro Minute des Briten Brian Eno versuchen. Und da können Sie auch die ganze CD durchlaufen lassen.